Die “Vorgänge in Thüringen” – was sagen die Kommunisten dazu?
Referat auf der Mitgliederversammlung der DKP Kassel, 13.02.2020
Der Rechtsruck läuft weiter. Mit den Ereignissen in Thüringen hat er zwar keine neue Qualität, aber ein bedeutendes Medienecho erfahren. Wir nehmen das als Anlass, uns mit dieser Frage genauer, mit den anstehenden antifaschistischen Aktivitäten und unseren Aufgaben auseinanderzusetzen.
Zunächst: Was ist passiert? Mit den Stimmen der AfD hat sich der FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen lassen. Ein Foto, auf dem er Björn Höcke die Hand gibt, geistert nach wir vor durchs Netz. Björn Höcke ist – und das ist die andere Seite der Geschichte, Frontmann des sogenannten “Flügels” in der AfD, die deutlicher als andere ein völkisch-nationalistisches Demagogiemodell verfolgen.
Scharfe, empörte Reaktionen gibt es von überall her: Olaf Scholz (SPD) twittert: “Die Geschehnisse in Thüringen sind ein Tabubruch in der Geschichte der politischen Demokratie in der Bundesrepublik. Das hat Auswirkungen weit über Thüringen hinaus. … Was in Erfurt passiert ist, war kein Zufall, sondern eine abgekartete Sache.”1 Damit dürfte er Recht haben. Die thüringer Landesverbände der FDP und der CDU sind besonders für ihre Verstrickungen nach Rechts bekannt, das zeigten vor allem die antikommunistischen Demonstrationen gegen die Wahl Ramelows.
Ähnlich schockiert zeigt sich Gerhard Baum, früherer FDP-Innenminister “Ein Hauch von Weimar liegt über dem Land. Das Böse ist wieder da.”2
Die empörten Reaktionen skandalisieren. Die Weimar-Vergleiche gingen auch bei Facebook durch die Decke. Sie dienen der Panikmache. Das ist eben das Demagogiemodell, das bereits bei der EU-Wahl viele aufrecht antifaschistische Wähler wieder an den Herd der EU-Beführwortung holte. Bei der EU-Wahl wählten dann Flüchtlingshelfer für Frontex, Antifaschisten für Gelder, die an Orban gehen, Kurdenfreunde für selbiges Geld an Erdogan und Gewerkschafter für den Zwang zu Befristungen nach EU-Recht. In Thüringen passiert, gemünzt auf die Linkspartei dasselbe: ehemalige DDR-Bürger wählen nun wieder, aus Angst vor Rechts jemanden, der die Delegitimierung der DDR betreibt, sich zB für das “DDR-Unrecht” entschuldigt,3 Antifaschisten jemanden, der dem VS noch nicht einmal zu nahe tritt, obgleich der Thüringer VS so nahe am NSU-Trio gewesen ist, wie es nur ging,4 der Polizeiapparat wrde sogar aufgestockt. Arbeiter und Gewerkschafter jemanden, der die Privatisierung von Schulen und Krankenhäusern nicht stoppt. An der kommunalen Unterfinanzierung hat er nichts grundsätzliches geändert, und auch dort den Demokratieabbau mittels der Schuldenbremsen mitgetragen. Immernoch gibt es rabiaten Lehrermangel.5
Damit haben wir eine Funktion der AfD aufgedeckt: Mit dem Schreckgespenst Rechts wird abgelenkt von der unsozialen Regierungspolitik von “rot-rot-grün”. Die AfD kann an all diese Misstände mittels der sozialen Demagogie andocken und selbst die DDR versuchen zu vereinnahmen. In Erfurt warben sie mit Thälmann-Schildern. Bei den nun anstehenden Aktionen ergibt sich für uns also die Aufgabe, der Panikmache, den Weimar-Vergleichen und der damit verbundenen Entpolitisierung, der Moralisierung entgegenzutreten. Ziel muss es sein, in diese – zurecht erbosten Antifaschisten die Losung zu tragen, dass ein ernsthafter Kampf gegen die AfD der Kampf darum sein muss, diesen die Grundlage, also ihre Massenbasis zu entziehen. Das kann nur geschehen, wenn für die Volksmassen die Handlungsfähigkeit im Kampf gegen diese unsoziale Politik hergestellt werden kann. Bei unserem Parteivorsitzenden Patrik Köbele hieß das: “Zur Klarheit in diesem Kampf gehört nämlich auch die Erkenntnis, dass der Schmusekurs, die Anbiederung an die unsoziale und geschichtsfälschende Politik, wie sie von der Mehrheit der Linkspartei in Thüringen betrieben wurde, nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist.”6
Als Kasseler Schmankerl soll uns dienen, was der tendenziell rechte Kommentator der HNA über Ramelow schreibt: “Bodo Ramelow. Der vormalige Gewerkschaftsfunktionär aus Niedersachsen war im Osten das, was Winfried Kretschmann von den Grünen in Baden-Württemberg ist: ein populärer Realpolitiker, für den das Landeswohl im Mittelpunkt steht und nicht das eigene Parteibuch.”7 – Wobei – so fair muss man sein, Ramelow anders als Kretschmann noch nicht mit Wasserwerfern Augen ausschießen ließ. Aber vielleicht bekommt er ja eine neue Chance dazu.
Um diesen ersten Punkt zusammenzufassen: Keine Panikmache, keine Entpolitisierung.
Nun wird mir entgegengehalten werden, dass ich mit diesen Ausführungen die breiten, demokratischen Bündnisse be- vielleicht sogar verhindere. Nun, unsere breiten demokratischen Bündnisse gehen zurück auf die von Dimitroff auf dem VII. Weltkongress ausgearbeiteten Planungen für die Volksfront. Um diese zu organisieren, so schreibt Dimitroff: “Wir müssen den Spieß umdrehen und den werktätigen Bauern, den Handwerkern sowie der Intelligenz zeigen, woher ihnen die wirkliche Gefahr droht; wir müssen ihnen konkret zeigen, wer dem Bauern die Last der Steuern und Abgaben aufbürdet, wer aus ihm Wucherzinsen herauspreßt … Wir müssen konkret und beharrlich erklären, wer die Handwerker und die Gewerbetreibenden durch Steuern, Gebühren, hohen Pachtzins und Konkurrenz, die für die unerträglich ist, ruiniert; wer die breiten Massen der werktätigen Intelligenz auf die Straße wirft und arbeitslos macht.”8
Was wir also brauchen ist nicht die Unterordnung der Politik der kommunistischen Partei unter bürgerliche oder sozialdemokratische Politik, weil derzeit irgendwo ein Faschist herumrennt, sondern wir brauchen den Kampf um die Entziehung der Massenbasis der Faschisten. Dafür versuchen wir breite Bündnisse zu gewinnen.
Wir nennen das demokratischen Kampf, weil wir Demokratie unter den gegebenen Verhältnissen verstehen als die Möglichkeiten, die die nichtmonopolistischen Schichten haben, dem Monopolkapital auf legalem Wege etwas entgegenzusetzen. Das ist die positive Seite der Formulierung dessen, was wir oben negativ formuliert haben: Gegen den Faschismus hilft nicht Panikmache, Moralisierung und Entpolitisierung, sondern demokratischer Kampf um die Interessen der Bevölkerungsmehrheit gegen die Monopole.
Das Interesse der Monopole am derzeitig ablaufenden Rechtsruck besteht in der Möglichkeit, weiteren Sozial- und Demokratieabbau betreiben zu können. Die Verfassungsschutz- und Polizeigesetze, die Militarisierung, die krasse Vereinheitlichung der öffentlichen Meinung, wie wir sie zB bei der EU-Wahl gesehen haben. Aktuell steigt rasant die Zahl derer, vor allem von Flüchtlingen, die von der Polizei erschossen werden.
Viele aktuell demokratische Kräfte sehen diesen Rechtsruck als Ganzes, aber nicht seine Quelle in der Herrschaft der Monopole und dem Aufstiegsbestreben des deutschen Imperialismus. Hier aber liegt ein Anknüpfungspunkt: Wer all diese Fragen zusammendenkt, der kann den Rechtsruck – unter Beihilfe aktiv diskutierender Kommunisten als Bestandteil der Klassenauseinandersetzung erkennen. Das genau muss unsere Aufgabe sein: Hinein in die demokratische Bewegung! Lassen wir dort den Kampf gegen den Rechtsruck als Klassenauseinandersetzung erkennen!
Das reicht nicht. Um antifaschistische Kämpfer zu Klassenkämpfern zu machen, braucht es die reale Erfahrung der Massen selbst, dass mit ernsthaft demokratischen Kämpfen um Miete, Wohnraum, Gesundheitsfürsorge und so weiter die Faschisten keine Chance haben. Wir haben diese Erfahrungen: In der antifaschistischen Aktion 1932, in der Volksfrontstrategie des VII. Weltkongresses, in den Kämpfen, die die KPD und die DKP jahrzehntelang in den Stadtvierteln unserer Heimat geführt haben. Wir haben diese Erfahrungen, die wir weitergeben sollten.
Auch innerhalb der demokratischen Kräfte gibt es jene, die aktiv versuchen diese Linie zu diskreditieren, die einen reinen, bürgerlich-demokratischen, eben prokapitalistischen Antifaschismus wollen. Diese Kräfte sind – angeführt von Antideutschen, derzeit auch im DGB führend. Ihr Antifaschismus ist einer, der sich gegen die Werktätigen richtet, die zeitweilig unter den Einfluss der neofaschistischen Agitation und Propaganda gelangt sind. Diese erscheinen als das Problem und diese solllen belämpft werden. Damit enden solche Kräfte oftmals dabei, mehr Polizei und VS zu fordern, also dem bürgerlichen Staat als objektive Helfer beim Rechtsruck zur Seite zu stehen. Sie sind auch ganz vorne mit dabei Varianten der Extremismus- und Totalitarismustheorie zu vertreten. Diese Kräfte stellen derzeit einen großen Teil der antifaschistischen Bewegung. Unsere Arbeit unter den demokratischen Kräften muss also mit dazu dienen, solche Kräfte von Aktionen für die sozialen und politischen Interessen der Arbeiterklasse und der anderen nichtmonopolistischen Schichten zu überzeugen.
Unsere Kasseler FDP hingegen lässt sich von alledem nicht aus der Ruhe bringen: Kämmerich war zum Neujahrsempfang der Kasseler FDP und sprach hier darüber, wie sehr die Unternehmer kulturell unterdrückt werden. Seine Kasseler Kollegen nehmen ihn in Schutz: Der Kasseler FDP-Chef Matthias Nölke erklärt, das Ziel sei gewesen, rot-rot-gtün zu verhindern, und das sei geschehen. Ein “Kandidat der Mitte” habe gewonnen und der sei eben demokratisch gewählt worden. Dagegen fanden in Kassel Gegenaktionen statt. Demonstranten drangen unter anderem in das Rathaus ein.9
Vielleicht haben wir hier einen Anknüpfungspunkt für die Verbindung des Kampfes gegen antisoziale Politik und daraus resultierendem Neofaschismus.
1Reaktionen, in: HNA, 6.2.2020.
2Ebenda.
3Benjamin Konietzny: Was hat Rot-Rot-Grün geschafft? https://www.n-tv.de/politik/Was-hat-Rot-Rot-Gruen-geschafft-article21343070.html 21.10.2019, aberufen 12.02.2020.
4Markus Bernhardt: Das braune Netz. Naziterror – Hintergründe, Verharmloser, Förderer, Köln 2012.
5Konietzny.
6Patrik Köbele und Volkmar Schneppat: DKP zur Ministerpräsidentenwahl in Thüringen, Pressemitteilung, http://blog.unsere-zeit.de/?p=3176 6.2.2020, abgerufen 12.2.2020.
7Stefan Vetter: Ränkespiele in Erfurt sorgen für Chaos, in: HNA, 6.2.2020.
8Georgi Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: Max Schäfer (Hrsg.): VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale. Referate-Aus der Diskussion-Schlußworte-Resolutionen, Frankfurt am Main 1971, S. 74-138, hier S. 96-97.
9mal/tho/lth: Friseursalon in Kassel, in: HNA, 6.2.2020.