VS bleibt sich treu

VS bleibt sich treu

Über Verfassungsschutz und Lübcke-Mord

 

Markus H. steht derzeit vor Gericht. Er soll der Helfer von Stefan E. beim Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gewesen sein. Nun wurde bekannt, dass der Verfassungsschutz (VS) im Jahre 1998 versucht hatte, ihn anzuwerben.

Das war die Zeit, in der die neofaschistische Terrororganisation NSU und deren Unterstützernetzwerk entstanden. H. war wichtig, denn er bildete einen Schnittpunkt zwischen dem „Freien Widerstand Kassel” und der „Old School Society”, also zwischen denen, die im Stadtviertel auf sozial machen, und denen, die Todeslisten von Antifaschisten anlegen. Für den VS wäre das eine lohnende Zusammenarbeit gewesen, handelte es sich doch um geradezu staatsdienliche Aktivitäten. Der Anwerbeversuch „scheiterte” aber nach Informationen des Dienstes.

2006 wurde H. von der Polizei vernommen, weil er den vom NSU ermordeten Halit Yozgat kannte. Es wurde vermutet, dass H. in die faschistischen Terrornetzwerke eingebunden war. Der Zusammenhang, der offensichtlich zwischen 1998 und 2006 existiert, wurde bis dato von der Presse nicht thematisiert. Er heißt Verfassungsschutz. Weder das Netzwerk noch der Kasseler Mord sind ohne dessen Einwirkung denkbar. Der Name Andreas Temme sollte zur Einordnung reichen.

2009 brüllt H. in einer Kneipe „Sieg Heil” und zeigt den Hitlergruß. Eine Geldstrafe. Am 1. Mai desselben Jahres überfällt er mit Stefan E. und 400 Kumpanen die DGB-Kundgebung in Dortmund. 2010 wird er als Führungsperson der Kasseler Szene eingestuft.

Bisher hat er getan, was dem Staat der Monopole normalerweise gut gefällt. Jungs von der Straße holen und ihnen den Weg bis in die faschistischen Terrorzellen ebnen, dadurch die Massenbasis ausbauen, Antifaschisten und Gewerkschafter einschüchtern und gegebenenfalls auch mal zusammenschlagen. Da gibt es Verwarnungen, Geldstrafen, Bewährungen … man fühlt sich an Weimar erinnert.

An der Wiege all dessen steht der hessische VS. Er bleibt sich treu. Wer verstehen will, wie der neofaschistische Terror zustande kommt, muss dessen Funktion ebenso untersuchen wie dessen Ursprung. Dabei wird er um diesen Staat und seine geheimdienstlichen „Institutionen” als Finanziers, als Beobachter und Anwerber nicht herumkommen. Es blamiert sich erneut die Ansicht, dass der Faschismus eben von den Faschisten komme.

 

Kurt Baumann, in: UZ, 15. 05. 2020.