Die Nacht des Faschismus

Die Nacht des Faschismus

 

Noch in der Nacht zum 30. Januar, während die Nazis ihren Sieg mit einem riesigen Fackelzeug in Berlin feiern, beginnt der braune Terror. In dieser Situation schlägt die KPD den Generalstreik vor, um – wie beim Kapp-Putsch – durch eine machtvolle Aktion der einig handelnde Arbeiterklasse die Nazis zu stoppen. Doch SPD- und Gewerkschaftsführung lehnen ab, erkennen den Ernst der Lage nicht, lassen sich vom Antikommunismus leiten.

 

“Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch Menschen”

Diese Situation nutzen die Nazis geschickt. Es geht Schlag auf Schlag. Im Februar zünden SA-Leute den Reichstag an, um mit diesem Vorwand die Kommunisten auszuschalten, denen der Brand in die Schuhe geschoben wird. Im Mai werden die Gewerkschaftshäuser zerschlagen. Am 10. Mai werden Bücher verbrannt und im Juni die Parteien aufgelöst. Und Heinrich Heines Wort “Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch Menschen”, sollte wenige Jahre später Wirklichkeit werden in Auschwitz, Majdanek, Treblinka und anderswo.

Vom ersten Tag der braunen Barbarei werden die Gegner, besonders die Kommunisten, unerbittlich verfolgt, gejagt, mißhandelt, ermordet. “Auf der Flucht erschossen …” wird es in vielen Schreiben der Nazis an die Familien der Ermordeten heißen.

Die verhafteten Genossinnen und Genossen werden hier in Kassel in den Folterkellern der SA in den Bürgersälen, im Karlshospital, im KZ Breitenau oder im Karlshof gequält, unter ihnen Georg Merle, Willi Belz, Walter Stahnke, Willi Walberg, Frank Buda, Henner Bischoff, Paula Lohagen, E. Weinert, Wilhelm Marker, Karl Gschwender, Traugott Eschke, Karl Krug.

Stellvertretend für alle sei aus dem Bericht von Walter Stahnke über seine Verhaftung 1933 zitiert:

“‘Los runter, marsch, marsch’, so wurden wir in den Karlshof gejagt. Es waren die Genossen Konrad Döhring, Ludwig Klein, Emil Engelfried, Wilhelm Prinz und ich. Wir mußten uns in einem großen Raum der Reihe nach aufstellen. Dann hieß es: ‘Los mitkommen, wer geht als erster?’ Natürlich zögerten wir alle. Dann dachte ich ‘Verdammt! Sollst du Dich vor diesen Hunden schwach zeigen?’ und ich trat hervor. Ich wurde von einem Trupp SS_Männer über den Hof geführt in einen Keller oder Lagerraum. Dort mitten im Raum stand ein großer, schwerer Tisch. Ich wurde gepackt, über den Tisch gezogen und dann dachte ich nur noch: ‘Schrei nicht, um Himmels Willen, schrei nicht!’ Ich weiß nicht, ob ich das stöhnen unterdrücken konnte, geschrien habe ich jedoch nicht, aber mir dabei die Zunge blutig gebissen. Als sie aufhörten, wurde ich hochgerissen, der SS-Mann Georg Müller aus Borken baute sich vor mir auf und fragte mit höhnischem Grinsen: ‘Na Stahnke, wie gefällt´s dir denn bei uns?’ Ich konnte vor Schmerz und Wut nicht antworten. Daraufhin widerholte sich die ganze Prozedur noch einmal.”

Vom Karlshof wurde Walter Atahnke ins Polizeigefängnis nach Kassel gebracht:

“Nun begann eine lange Zeit der Einzelhaft im Polizeipräsidium in Kassel. Aus der Nachbarzelle hörte ich den Gesang von Kampf- und revolutionären Arbeiterliedern. Natürlich war ich gespannt, wer da wohl drin sitzt. Am anderen Morgen sah ich es. Es war der Genosse Georg Merle aus Kassel, mir aus dem Jugendverband her bekannt.”

Später wurden KZs errichtet, die Moorlage, Dachau, Buchenwald, Oranienburg, Sachsenhausen ….

Die KPD und der KJVD tauchten ab in die Illegalität, bildeten geheime Fünfergruppen, leisten vom ersten Tag an Widerstandsarbeit, verteilen Flugblätter, kleben Parolen, drucken Zeitungen. Und immer dann, wenn die Gestapo hofft, durch die Verhaftung führender Genossen die Partei zerschlagen zu haben, bildetet sich eine neue Leitung. Immer wieder ist die Gestapo überrascht, daß die KPD lebt.

1933 begannen die Verhaftungen gegen Mitglieder, vor allem gegen die Bezirksleitung der KPD in Kassel. Nach den ersten Verhaftungen 1933, die u.a. Henner Bischoff traf, wurde eine 2. illegale Bezirksleitung gebildet.

Ihr gehörten Georg Merle, Wilhelm Marker, Karl Barthel, August Thöne, Walter Spillmer und Hans Spill an.

Die KPD war nicht totzukriegen. Immer wieder wurden neue Aktionen durchgeführt, bei der die Beteiligten Kopf und Kragen riskierten. Willi Belz berichtet:

“Die Ziegelei Richter – heute Trillhof:

… die hatten einen ganz hohen Schornstein. Und da hatten wir so ein paar handfeste Burschen, die kletterten da rauf und hißten oben, am Blitzableiter, eine schöne rote Fahne. Das war noch vor den Märzwahlen [1933, KB.]. Die rote Fahne flatterte oben im Wind und unsere Kumpels hatten mit einer Eisensäge die obersten Sprossen der Steigleiter angesägt. Und zum Teil wurden die obersten Sprossen der Steigleiter mit Schmierseife eingeseift, so daß die Feuerwehr und die SA und die Polizei trotz kühnstem Einsatz nur bis zu einer bestimmten Höhe kamen … Inzwischen sammelten sich viele Menschen unten, das war eine Sensation, hunderte guckten zu, wie die versuchten, die rote Fahne runterzukriegen. Die Fahne ist regelrecht an dem Schornstein verwittert. Vom Winde zerfetzt worden. Sie kriegten sie nicht runter!”

 

1935 formuliert die Kommunistische Internationale auf ihrem 7. Weltkongreß die Erfahrungen und Konsequenzen aus dem Kampf gegen den Faschismus und ruft überall zur Einheitsfront der Arbeiterklasse und Bildung einer Volksfront unter Einschluß auch kleinbürgerlicher Schichten auf.

In Frankreich bildet sich eine Volksfrontregierung zur Abwehr der Faschisten, in Spanien siegt die Volksfront. Und als 1936 die Faschisten in Spanien putschen, erweist sich einmal mehr der proletarische Internationalismus auch der deutschen Kommunisten. Einem Aufruf der Partei folgend kämpfen viele gemeinsam mit Antifaschisten aus aller Welt in den internationalen brigaden im Thälmann-Bataillon, im Bataillon Hans Beimler, im Bataillon Edgar André, dessen Kommandant Ernst Buschmann war.

  

Zug um Zug bereiten die Nazis den Krieg vor, so wie es Hitler 1933 den Konzernen und der Reichswehr in geheimen Reden versprochen hatte.

Fieberhaft versucht die Sowjetunion, die drohende Kriegsgefahr abzuwenden und ein System der kollektiven Sicherheit in Europa mit den Westmächten zu schaffen. Doch die Westmächte weigern sich, hoffen, daß Hitler seinen Schlag gleich gegen die Sowjetunion richtet.

Und dann ist es soweit. Am 1.9.1939 beginnt mit dem Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg. Hitler führt “Blitzkriege” in ganz Europa, besetzt Dänemark, Norwegen, Frankreich. Das System des Terrors und der KZs breitet sich aus wie eine Krebsgeschwulst. Aus allen besetzten Ländern werden Zwangsarbeiter in die Rüstungsindustrie verschleppt, die auch in Kassel bei Henschel, Flugzeugmotorenwerken und anderswo arbeiten. Die KPD verstärkt als Antwort besonders den Widerstand in den Rüstungsbetrieben, sabotiert die Kriegsmaschinerie.

Auch im Henschelwerk, wo seit 1935 die Rüstungsproduktion auf Hochtouren lief, organisierte die KPD illegale Widerstandsgruppen, die Flugschriften und Betriebszeitungen herstellten und verteilten. Unter schwierigsten Bedingungen richtete eine Widerstandsgruppe eine kleine illegale Druckerei ein. Öfters, wenn die schweren Panzer, die später im Henschelwerk gebaut wurden, zur Probefahrt auslaufen sollten, krachte es im Leibe dieser Ungetüme. Getriebe flogen auseinander. Bei der Untersuchung der Ursache stellten die Werkspolizei und Gestapo gewöhnlich fest, daß Schrauben und andere Eisenteile in das Getriebe “hineingeraten” waren. Am auffälligsten war die immer mehr um sich greifende Ausschußproduktion, deren Wirkung oft erst festgestellt werden konnte, wenn die Panzer oder andere Kriegsfahrzeuge schon im Kriegseinsatz standen.

Bei den Vertrauensleute-Wahlen im Henschelwerk 1935 erhielten die Arbeitsfrontbonzen der Nazis eine Schlappe, nur 35% der abgegebenen Stimmen, während 2 von früher bekannte Betriebsratsmitglieder die doppelte Stimmenzahl erhielten.

Panisch reagierte die Gestapo mit Prozessen wegen Hochverrat gegen Willi Pfromm, Hans Hinz, Fritz Dornemann, Franz Buda, Willi Paar, Christian Stephan, Max Mayr, Willi Schiftan, Karl Pfromm, Fritz Kramer, Andreas Ruhl, Willi Wahlberg, Wolfgang Zanger und Atti Neumann.

Am 2. Juni 1941 überfallen die Nazis die Sowjetunion und glauben, sie ebenfalls in wenigen Monaten besiegen zu können. Doch aus dem “Blitzkrieg” wird nichts, die Kampfmoral der Kommunisten, die sozialistische Gesellschaft erweist sich als stärker. Im Januar 1943 bricht die Rote Armee in Stalingrad den scheinbar unüberwindbaren Hitler-Truppen das Rückgrat, im selben Sommer mit der Schlacht am Kursker Bogen begann der Untergang der faschistischen Wehrmacht.

Gleichzeitig entsteht 1941 die Anti-Hitler Koalition. In allen besetzten Ländern entwickeln sich machtvolle Partisanenbewegungen. Und wo sie auch sind, stehen die deutschen Kommunisten in der antifaschistischen Front. In der Befreiungsbewegung in Griechenland die 999er aus dem Strafbataillon, in der Résistance in Frankreich, in der Sowjetunion gründen sie das “Nationalkomitee Freies Deutschland”, arbeiten dort als Frontbeauftragte, unter deutschen Soldaten in den Kriegsgefangenenlagern, als Lehrer an Antifa-Schulen.

 

“So habe ich mich nie völlig isoliert gefühlt”

Und sie kämpfen im Lande selbst in unzähligen Widerstandsgruppen gegen Hitler, der Schulze-Boysen-Harnack-Gruppe, in der Panzerproduktion bei Henschel.

Aber auch in den KZs geht der Widerstand der Kommunisten weiter. Sie organisieren sich, übernehmen vielerorts die Häftlingsverwaltung, bauen illegale Radiosender, führen Schulungen durch, verstecken bedrohte Kameraden und retten sie vor der SS, errichten in Buchenwald sogar eine Schule für Kinder, entwerfen Programme für die Nachkriegszeit, schmieden die Einheitsfront mit Sozialdemokraten. In Buchenwald entsteht eine geheime Häftlingsorganisation, die über Waffen verfügt und das Lager im April 1945 selbst befreit.

Diese Wege gehen auch viele Kasseler Genossen. Willi Belz, nach Haft, KZ Breitenau, KZ Lichtenburg und illegaler Arbeit lief 1943 zur Roten Armee über. Im Nationalkomitee Freies Deutschland organisierte er Antifa-Schulungen für kriegsgefangene deutsche Soldaten. Georg Merle kam nach 3 Jahren Zuchthaus Wehleiden in die Konzentrationslager Lichtenberg und Buchenwald, wo er in der geheimen Häftlingsorganisation arbeitete.

In Buchenwald war auch der Genosse August Kulle.

Der Weg über Wehleiden, wo er in Isolierhaft war, über Breitenau in die Moorlager Esterwegen, Neusütrum, Börgermoor schließlich nach Sachsenhausen ging auch unser Genosse Willi Walberg. Von hier aus ging der Todesmarsch, den er überlebte. Auch er kehrte nach mehr als 10 Jahren Haft 1946 nach Kassel zurück und kämpft bis heute in unseren Reihen.

Woher die Genossen die Kraft nehmen, um ihre langen Haftzeiten aufrecht und kämpferisch zu überstehen, erzählt uns der Genossen Georg Merle in einem Interview:

“Ich wußte, wer ich war und wem ich gegenüberstand. Das hat mir dann im Zuchthaus und im KZ geholfen. Ich wußte von der Bastille und der französischen Revolution. Und ich wußte aus der Literatur, was Karzer, Zuchthäuser und Gefängnisse sind. Und ich wußte, daß ich geschichtlich in keiner schlechten Gesellschaft war … Das war doch ein Korsett, ein Rückgrat. Du merkst das an den anderen, die das nicht so hatten, die sind zum Teil seelisch zugrunde gegangen oder irre geworden, weil sie das alles nicht fassen konnten. … So habe ich mich nie völlig isoliert gefühlt.”

Die Nazi verstärken den Terror nach innen. Kleine Vergehen genügen, um ins KZ eingeliefert zu werden. Die sogenannte Endlösung der Judenfrage beginnt, die Vernichtungslager entstehen, Maidanek, Birkenau, Auschwitz, Treblinka. 11 Millionen Menschen lassen dort ihr Leben.

Der Krieg wird durch Luftangriffe der Alliierten ins eigene Land getragen, auch Kassel versinkt als Folge des Hitlerschen Raubkrieges am 22. Oktober 1943 in Schutt und Asche. Die Nazis wissen um ihren eigenen Untergang, versuchen noch, so viele Gegner als möglich zu beseitigen. So wird nach einer Besprechung Himmerls und Hitlers am 18. August 1944 Ernst Thälmann im KZ Buchenwald ermordet. Die Nazis fürchten offenbar seine Autorität, haben gewußt um die Rolle, die er im Nachkriegsdeutschland als Führer der Arbeiterklasse gespielt hätte.

Überall wüten die Faschisten kurz vor Toresschluß wie die Bestien, schicken ganze KZs auf den Todesmarsch. In Wehleiden und der Elwe erschießt die Gestapo in letzter Minute nicht Gefangene, 78 Italiener werden am Wilhelmshöher Bahnhof ermordet.

Am 8. Mai ist der Spuk zu Ende. Deutschland befreit. Die Bilanz der Nazi-Barbarei ist grausam, der Blutzoll der KPD hoch. Etwa 150.000 Genossinnen und Genossen waren inhaftiert, in KZs, wurden ermordet, doch die Partei lebt!

 

Verschriftlicht aus: KV DKP Kassel (Hrsg): Aus der Geschichte der Kasseler Kommunisten, Kassel Januar 1986, S. 12-27. Die Fotos wurden an der entsprechenden Stelle der Chronologie eingefügt.